Samstag, 6. Januar 2007

Tobermory

Tobermory

Es war ein kühler, regnerischer Nachmittag im Spätaugust, jener nichtssagenden Jahreszeit, in der die Rebhühner noch in Sicherheit oder im Kühlhaus sind und es nichts zum Jagen gibt - sofern man nicht im Norden an den Bristolkanal angrenzt, was einem das Recht verschafft, hinter fetten Rothirschen herzugaloppieren. Lady Blemleys Hausgesellschaft grenzte im Norden nicht an den Bristolkanal, so dass sich ihre Gäste an diesem Nachmittag vollzählig um den Teetisch versammelt hatten. Und trotz der Ereignislosigkeit der Saison und des bedeutungslosen Anlasses zeigte die Gesellschaft keine Spur jener dumpfen Unruhe, die Furcht vor dem Pianola und unterdrückte Sehnsucht nach Auktionsbridge bedeutet. Die unverhohlenen Neugier der staunenden Runde konzentrierte sich auf die farblos hausbackene Personen von Mr. Cornelius Appin. Von allen Gästen Lady Blemleys eilte ihm der unbestimmteste Ruf voraus. Jemand hatte in als ‚geistreich‘ bezeichnet, und er verdankte seine Einladung der bescheidenen Erwartung seiner Gastgeberin, er werde zumindest irgendeinen Teil seiner Geistesgaben zur allgemeinen Erbbauung beisteuern. Bis zur Teestunde dieses Tages hatte sie jedoch nicht entdecken können, auf welchem Gebiet, sofern überhaupt, seiner Geistesgaben lagen. Er war weder ein witziger Plauderer noch ein Krocketchampion, er verfügte weder über hypnotische Kräfte noch inszenierte er Laienspiele. Und auch sein Äußeres deutete nicht auf die Sorte Mann hin, bei der Frauen ein gerüttelt Maß intellektueller Unzulänglichkeit zu tolerieren bereit sind. Er war zum bloßen Mr. Appin herabgesunken, und der Cornelius schien allenfalls ein durchsichtiger Taufbluff zu sein. Und nun behauptete dieser Mann, der Welt eine Entdeckung beschwert zu haben, neben der sich Erfindungen wie das Schießpulver, die Druckerpresse und die Dampfmaschine als unbedeutende Belanglosigkeiten ausnahmen. Die Wissenschaft hatte in den letzten Jahrzehnten atemberaubende Fortschritte auf vielen Gebieten gemacht, aber das hier schien doch eher in den Bereich des Wunders als den wissenschaftlicher Errungenschaften zu gehören.
„Und sie wollen uns wirklich weismachen“, sagte Sir Wilfrid, „dass sie eine Methode entwickelt haben, Tieren die Kunst menschlicher Sprache beizubringen, und dass der gute alte Tobermory sich als ihr erster erfolgreicher Schüler erwiesen habe?“
„An diesem Problem habe ich die Letzten siebzehn Jahre gearbeitet“, sagte Mr. Appin, „aber erst in den letzten acht oder neun Monaten wurde ich mit ersten Erfolgsschimmern belohnt. Natürlich habe ich mit Tausenden von Tieren experimentiert, aber in letzter Zeit nur noch mit Katzen, jenen wundervollen Geschöpfen, die sich so vollendet unserer Zivilisation angepasst und doch alle ihre hoch entwickelten wilden Instinkte bewahrt haben. Hier und da trifft man bei Katzen auf einen herausragend überlebenden Verstand, gerade sowie bei dem Gros der Menschen, und als ich Tobermory vor einer Woche kennen lernte, war mir sogleich klar, dass ich es mit einem Super-Kater von außergewöhnlicher Intelligenz zu tun hatte. Ich war mit meinen Experimenten auf dem Weg zum Erfolg ein gutes Stück vorangekommen; mit Tobermory, wie Sie ihn nennen, habe ich das Ziel erreicht.“
Mr. Appin schloss seiner bemerkenswerten Ausführungen mit einer Stimme, die er von triumphierendem Beiklang freizuhalten suchte. Niemand sagte ‚Mumpitz‘, obwohl Clovis‘ Lippen sich in einer Weise spitzten, als wollte Ihnen dieser Ausdruck gesunder Skepsis entschlüpfen.
„Sie behaupten also“, sagte Miss Resker nach einer kleinen Pause, „dass Sie Tobermory beigebracht haben, einfache Sätze aus einsilbigen Worten zusprechen und zu verstehen?“
„Meine liebe Miss Resker“, sagte der Wundertäter geduldig, „kleine Kinder und Wilde und zurückgebliebene Erwachsene unterrichtet man derart bröckchenweise; wenn man das Problem, mit einem Tieren von hochentwickelter Intelligenz einen Anfang zu finden, erst einmal gelöst hat, bedarf es solcher Krücken nicht. Tobermory beherrscht unsere Sprache absolut fehlerfrei.“
Diesmal sagte Clovis deutlich vernehmbar „Super-Mumpitz!“ Sir Wilfrid war höflicher, aber nicht minder skeptisch.
„Sollten wir nicht lieber den Kater hereinholen und uns selbst ein Urteil bilden?“ schlug Lady Blemley vor.
Sir Wilfrid ging das Tier suchen und die Hausgäste machten es sich in der trägen Erwartung bequem, Zeugen mehr oder weniger gelungenen Salon-Bauchredens zu werden.
Eine Minute später war Sir Wilfrid zurück, sein Gesicht weiß unter der Sonnenbräune und seine Augen vor Aufregung geweitet.
„Himmelherrgott, es ist wahr!“
Seiner Erregung war unverkennbar echt und seine Zuhörer fuhren mit einem Schauer plötzlich erwachten Interesses hoch.
Erließ sich in einem Arm Sessel fallen und fuhr atemlos fort: „ich fand ihn schlummernd im Rauchzimmer und rief ihn zum Tee. Er blinzelte mich an, wie es seiner Art ist, und ich sagte:‘Komm schon, Toby, lasst uns nicht warten‘; und dann, Himmelherrgott, dann sagte er gedehnt mit einer erschreckend natürlichen Stimme, dass er käme, wenn es ihm verdammtnochmal in den Kram passte! Es hat mich beinahe umgehauen!“
Appin hatte absolut ungläubigen Hörern gepredigt; Sir Wilfrids Erklärung fand sofort Glauben. Ein babylonisches Gewirr verblüffter Ausrufe erhob sich, inmitten dessen der Wissenschaftler stumm saß und die ersten Früchte seiner überwältigenden Entdeckung genoss.
Mitten in dem Tumult betrat Tobermory den Raum und bahnte sich samtpfotig und mit betonter Gleichgültigkeit seinen Weg zu der Gruppe, die um den Teetisch saß.
Ein plötzliches Schweigen befangener Verlegenheit befiel die Gesellschaft. Irgend etwas schien daran peinlich zu sein, einen Hauskater von anerkannten Geistesgaben wie seinesgleichen anzureden.
„Möchtest du etwas Milch, Tobermory?“ fragte Lady Blemley mit ziemlich gezwungener Stimme.
„Ich hätte nichts dagegen“, war die gleichgültig hingeworfene Antwort. Ein Schauer unterdrückter Erregung in durchfuhr die Zuhörer, und Lady Blemley war nicht zu verübeln, dass sie die Milch recht unsicher in die Untertasse goss.
„Ich fürchte, ich habe einiges verschüttet“, sagte sie entschuldigend.
„Na ja, es ist ja nicht mein Axminsterteppich“, war Tobermorys Kommentar.
Wieder verfiel die Runde in Schweigen, und dann fragte Miss Resker in bester Gemeindeschwesterart, ob die menschlicher Sprache schwer zu erlernen gewesen sei. Tobermory sah sie einen Augenblick direkt an und blickte dann stillvergnügt ins Leere. Es war offensichtlich, das langweilige Fragen außerhalb seiner Interessensphäre lagen.
„Was halten Sie von der menschlichen Intelligenz?“ Fragte Mavis Pellington lahm.
„Wessen Intelligenz im Besonderen?“ Fragte Tobermory kühl.
„Nun je, meine z. B.“, sagte Mavis mit unsicheren Lachen.
„Sie bringen mich in arge Verlegenheit“, sagte Tobermory, dessen Ton und Haltung alles andere als verlegen waren. „Als das Gespräch darauf kam, Sie zu dieser Hausgesellschaft einzuladen, protestierte Sir Wilfrid, Sie seien das hirnloseste Frauenzimmer, das ihm je begegnet sei, und zwischen Gastfreundschaft und der Fürsorge für Geistesschwache sei schließlich ein himmelweiter Unterschied. Lady Blemley erwiderte, ihr Mangel an Denkvermögen sei genau die Eigenschaft, die Ihnen die Einladung einbringen werde, denn außer Ihnen falle ihr niemand ein, der dumm genug sein könnte, ihren alten Wagen zu kaufen. Den, den sie den ‚Neid des Sisyphus‘ nennen, wissen Sie, weil er recht manierlich den Berg hochkommt, wenn man ihn schiebt.“
Lady Blemleys Beteuerungen hätten überzeugender gewirkt, wenn sie Mavis nicht just an diesem Morgen beiläufig zu verstehen gegeben hätte, das fragliche Auto sei genau das Richtige für Sie daheim in Devonshire.
Major Barfield warf sich mit einem kühlen Ablenkungsmanöver in die Bresche.
„Wie geht es denn so mit Ihrem Techtelmechtel mit der Schildpatt-Mieze oben bei den Ställen voran?“
Kaum hatte er das gesagt, als jedermann den Fauxpas erkannte.
„Darüber pflegt man in der Öffentlichkeit gemeinhin nicht zusprechen“, sagte Tobermory frostig. „Aufgrund flüchtiger Beobachtung Ihres Treibens seit ihrer Ankunft hier im Hause könnte ich mir vorstellen, dass es Ihnen auch nicht angenehm wäre, wenn ich die Unterhaltung auf Ihre eigenen kleinen Affären lenkte.“
Die nun folgende Panik beschränkte sich nicht auf den Major.
„Möchtest du nicht mal nachsehen, ob die Köchin dein Essen fertig hat?“ Schlug Lady Blemley hastig vor und tat, als wisse sie nicht, dass es noch mindestens zwei Stunden bis zu Tobermorys Essenzzeit waren.
„Danke nein“, sagte Tobermory, „nicht gleich nach dem Tee. Ich möchte nicht an Magenverstimmung sterben.“
„Katzen haben neun Leben, weißt du“, sagte Sir Wilfrid jovial.
„Möglich“, erwiderte Tobermory, „aber nur eine Leber.“
„Adelaide!“ sagte Mrs. Cornett, „du willst diesen Kater doch nicht etwa ermuntern, hinauszugehen und in der Gesindestube über uns zu tratschen?“
Die Panik hatte nun in der Tat die ganze Gesellschaft erfasst. Eine schmale Zierbalustrade führte vor den meisten Schlafzimmerfenster von The Towers vorbei und man erinnerte sich mit Entsetzen daran, dass diese zu jeder Tages- und Nachtzeit eine bevorzugte Promenade für Tobermory gewesen war, von der aus er die Tauben beobachten konnte - und der Himmel mochte wissen, was sonst noch. Wenn er vor hatte, in diesem freimütigen Stil Erinnerungen preiszugeben, wären die Folgen mehr als nur beunruhigend. Mrs.Cornett, die viel Zeit vor ihrem Toilettentisch verbrachte und deren Teint in dem Ruf stand, ebenso häufigem wie pünktlichem Wechsel unterworfen zu sein, sah ebenso unglücklich aus wie der Major. Miss Scrawen, die Verse von ungestümer Sinnlichkeit schrieb und ein untadeliges Leben führte, zeigte sich lediglich verärgert; wenn man im Privatleben methodisch und sittsam ist, will man noch lange nicht, dass ein jeder das weiß. Bertie van Tahn, der mit 17 schon so durchtrieben war, dass er den Versuch, es noch länger zu treiben, schon seit längerer Zeit hatte aufgeben müssen, nahm eine fahle, gardeniaweiße Färbung an, beging aber nicht den Fehler, aus dem Zimmer zu stürzen wie Odo Finsberry, ein junger Gentleman, der dem Vernehmen nach Theologie studierte und den möglicherweise der Gedanke, von anderer Leute Skandalen hören zu müssen, verstört hatte. Clovis war so geistesgegenwärtig, ein gelassenes Äußeres zu bewahren; im Stillen rechnete er nach, wie lange es dauern würde, durch eine Annonce im Exchange and Mart eine Schachtel Delikateßmäuse als eine Art Schweigegeld zu beschaffen.
Selbst in einer so heiklen Situation wie dieser konnte Agnes Resker es nicht ertragen, allzu lange im Hintergrund zu bleiben.
„Warum bin ich bloß hierhergekommen?“ fragte sie theatralisch.
Tobermory griff das Stichwort sogleich auf.
„Nach dem zu urteilen, was sie gestern auf dem Krocketrasen zu Mrs. Cornett gesagt haben, waren sie aufs Essen aus. Sie bezeichneten die Blemleys als die langweiligsten Gastgeber, die Sie kennen, räumten aber ein, sie seien klug genug, eine erstklassige Köchin zu beschäftigen; andernfalls hätten sie Schwierigkeiten, irgend jemanden ein zweites Mal herzubekommen.“
„Davon ist kein Wort wahr! Mrs. Cornett, ich beschwöre Sie...“ rief die aus der Fassung gebrachte Agnes entgeistert aus.
„Mrs. Cornett wiederholte ihre Bemerkung anschließend gegenüber Bertie van Tahn ", fuhr Tobermory fort, „und sagte: diese Frau ist das, was ich eine eingefleischte Kostgängerin nennen würde: für vier anständige Mahlzeiten am Tag ginge sie überallhin; und Bertie van Tahn sagte...“
An diesem Punkt fand die Chronik ein gnädiges Ende. Tobermory hatte einen flüchtigen Blick von dem großen gelben Kater vom Pfarrhaus erhascht, der sich durch das Strauchwerk zu den Stallungen schlich. Wie der Blitz war er durch die offene Terrassentür verschwunden.
Nach dem Abgang seines allzu brillanten Schülers brach über Cornelius Appin ein Wirbelsturm bittere Vorwürfe, besorgter Fragen und angstvoller Beschwörungen herein. Die Verantwortung für die Situation lag bei ihm, und ihm oblag es, Schlimmeres zu verhüten. Ob Tobermory seine bedrohliche Gabe anderen Katzen mitteilen könne, war die erste Frage, mit der man ihn bedrängte. Es könne durchaus sein, erwiderte er, dass Tobermory seine Intimfreundin, die Stallkatze, in seine neue Fähigkeit eingeweiht habe, aber es sei unwahrscheinlich, dass seine Lehrtätigkeit bis jetzt weitere Kreise gezogen habe.
„Nun“, sagte Mrs. Cornett, „Tobermory mag ein nützlicher Kater und ein großartiger Hausgenosse sein; aber sie werden mir zweifellos zustimmen, Adelaide, dass sowohl er als auch die Stallkatze unverzüglich beseitigt werden müssen.“
„Meinen Sie etwa, wir hätten die letzte Viertelstunde genossen?“ Sagte Lady Blemley erbittert. „Mein Mann und ich hängen sehr an Tobermory - zumindest hingen wir sehr an ihm, bevor ihm diese furchtbare Fähigkeit eingetrichtert wurde; aber jetzt führt natürlich kein Weg daran vorbei, ihn so schnell wie möglich aus der Welt zu schaffen.“
„Wir könnten etwas Strychnin an die Speisereste tun, die er abends immer vorgesetzt bekommt“, sagte Sir Wilfrid, „und ich werde die Stallkatze eigenhändig ersäufen. Der Kutscher wird recht ungehalten sein, sein Lieblingstier zu verlieren, aber ich werde ihm erklären, bei beiden Katzen sei eine höchst ansteckende Art von Räude ausgebrochen, und wir hätten befürchtet, dass sie auf den Zwinger hätte übergreifen können.“
„Aber meine große Entdeckung!“ beschwor ihn Mr. Appin, „nach all den Jahren des Forschens und Experimentierens...“
„Sie können meinetwegen mit den Kurzhornrindern auf der Farm experimentieren, die man vernünftig unter Kontrolle hat“, sagte Mrs. Cornett, „oder mit den Elefanten im Zoo. Sie gelten als hochintelligent, und sie haben den Vorzug, dass sie nicht um unsere Schlafzimmer herum schleichen und unter Stühle kriechen und so weiter.“
Ein Erzengel, der verzückt den Anbruch des Millenniums verkündet und dann feststellen muss, dass es sich unverzeihlicher Weise mit der Regatta in Henley überschneiden würde und auf unbestimmte Zeit verschoben werden muss, hätte kaum enttäuschter sein können als Cornelius Appin angesichts der Reaktion auf seine wundervolle Errungenschaft. Die öffentliche Meinung war jedoch gegen ihn - in der Tat hätte sich bei einer Abstimmung wahrscheinlich eine beachtliche Mehrheit dafür ausgesprochen, ihn in die Strychnindiät einzubeziehen.
Unzulängliche Bahnverbindungen und das ungeduldige Verlangen, die Dinge zu einem Ende gebracht zu sehen, verhinderten einen alsbaldigen Aufbruch der Anwesenden; das Essen an jenem Abend war allerdings kein gesellschaftlicher Erfolg. Sir Wilfrid hatte ziemlichen Ärger mit der Stallkatze und anschließend mit dem Kutscher. Agnes Resker beschränkte ihr Mahl demonstrativ auf ein Eckchen trockenen Toast, an dem sie nagte, als bisse es womöglich zurück, während Mavis Pellington sich die gesamte Mahlzeit hindurch in rachsüchtiges Schweigen hüllte. Lady Blemley mühte sich, etwas in Gang zuhalten, das, so hoffte sie, als Konversation gelten mochte, aber ihre Aufmerksamkeit galt der Eingangstür. Ein Teller sorgfältig präparierter Fischreste stand auf der Anrichte bereit, aber Süßspeise und Dessert nahmen ihren Weg, ohne dass Tobermory im Speisesaal oder in der Küche erschienen. Das düstere Mahl war ausgelassen im Vergleich zu der Nachtwache im Rauchzimmer, die nun begann. Essen und Trinken hatten zumindest eine Ablenkung geboten und die herrschende Verlegenheit überspielt. Bridge kam wegen der allseits überreizten Nerven und Gemüter nicht in Betracht, und nachdem Odo Finsberry einer frostigen Zuhörerschaft eine traurige Darbietung von Melisande im Walde zum Besten gegeben hatte, wurde Musik stillschweigend gemieden. Um elf gingen die Bediensteten zu Bett, nachdem sie mitgeteilt hatten, dass sie das kleine Fenster in der Speisekammer wie immer für Tobermorys privaten Zwecke offen gelassen hätten. Die Gäste durchblätterten gewissenhaft einen Stapel neuerer Zeitschriften und nahmen sich dann nach und nach die Badminton Library und die gebundenen Ausgaben des Punch vor. Lady Blemley stattete der Speisekammer regelmäßige Besuche ab und kam stets mit einem Ausdruck ermatteter Niedergeschlagenheit zurück, die jede Frage überflüssig machte.
Um zwei Uhr brach Clovis das alles beherrschende Schweigen.
„Er wird heute Nacht nicht mehr kommen. Wahrscheinlich sitzt er jetzt gerade im Redaktionsbüro der Lokalzeitung und diktiert die erste Folge seiner Lebenserinnerungen. Lady Soundsos Fortsetzungsroman nehmen sie dafür heraus. Das wird der Knüller des Tages.“
Nach diesem Beitrag zur allgemeinen Fröhlichkeit ging Clovis zu Bett. In langen Abständen folgten auch die anderen Gäste seinem Beispiel.
Die Dienstemädchen, die den Morgentee auf die Zimmer brachten, gaben eine gleichlautende Antwort auf eine stets gleichlautende Frage. Tobermory war nicht nach Hause gekommen.
Das Frühstück war eine womöglich noch unangenehmere Angelegenheit als das Essen vom Vorabend, aber noch bevor es zu Ende war, klärte sich die Lage. Man brachte Tobermorys Leiche herein, die ein Gärtner soeben in Gebüsch gefunden hatte. Die Bisse in seiner Kehle und einige gelbe Fellbüschel zwischen seinen Krallen legten beredtes Zeugnis davon ab, dass er im ungleichen Kampf mit dem großen Kater aus dem Pfarrhaus gefallen war.
Gegen Mittag hatten die meisten Gäste The Towers verlassen, und nachdem Essen hatte sich Lady Blemley hinlänglich erholt, um der Pfarrei einen außergewöhnlich geharnischten Brief wegen des Verlustes ihres wertvollen Haustieres zu schreiben.
Tobermory war Appins einziger erfolgreicher Schüler gewesen und sollte es auch bleiben. Einige Wochen später riss sich ein Elefant im Dresdner Zoo, der nie zuvor irgendwelche Anzeichen von Bösartigkeit gezeigt hatte, los und tötete einen Engländer, der ihn offenbar geneckt hatte. Der Name des Opfers wurde in den Zeitungen verschiedentlich als Oppin oder Eppelin angeführt, aber sein Vorname wurde übereinstimmend mit Cornelius wiedergegeben.
„Wenn er versucht hat, dem armen Vieh unregelmäßige deutsche Verben beizubringen“, sagte Clovis, „dann hat er es nicht besser verdient.“

Saki: Tobermory; in: Die Clovis-Chroniken; Haffmans Verlag Zürich 1990; ISBN 3-251-20074-7; Originalausgabe: "The Chronicles of Clovis ", London 1911

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